Die ganze Welt ist Bühne
Und alle Fraun und Männer bloße Spieler.
Sie treten auf und gehen wieder ab.
William Shakespeare, „Wie es euch gefällt“
Fjodor Dostojewski blickt wie von einer Galerie herab aus dem Spiegel in das prunküberladene Kasino. Fortuna spielt hier nicht mehr, scheint sein dunkler Blick auf dem Porträt von Wassili Perow zu sagen. Das Spiel findet in anderen Räumen statt: Ein Zocker aus dem Film 21 läuft aus dem Rokokosaal in die lodernde Raucherlounge; die Kugel rollt nicht im Roulettekessel, sie hat einen Mann getroffen. Eine Szene aus Der Clou, in der der mit allen Glücksspielwassern gewaschene Henry Gondorff (Paul Newman) allerdings nur blufft.
Hätte Dostojewski das ausgeklügelte System gekannt, mit dem die Mathematikstudenten in 21 die Spielbanken sprengen, vielleicht hätte er 1865 keine 3 000 Rubel in Wiesbaden verloren. Auch am Roulettetisch in Baden-Baden war der russische Schriftsteller zu Gast. Das historische Kasino mit den schweren Lüstern, den Marmorputten und Brokaten bildet das Grundmotiv der Fotografie. Doch Roulettenburg aus Dostojewskis Roman Der Spieler ist überall. Die Karten – laut Arthur Schopenhauer ohnehin »der deklarierte Bankrott an allen Gedanken« – scheinen vom Black-Jack-Tisch geradewegs in die Hölle geflogen zu sein. In die neobarocken Fresken hat Anett Stuth Hieronymus Boschs Der Garten der Lüste collagiert. Die rechte Hand des Falschspielers ist bereits vom Dolch durchbohrt, da stößt der Dämon noch ein Schwert in seine Brust.
Ins Füllhorn der Dekadenz mischt die Fotografin Zitate aus Film-, Kunst- und Literaturgeschichte, vom 16. Jahrhundert bis ins neue Jahrtausend. Dabei ist in Francisco de Goyas Die Strohpuppe das beliebte Gesellschaftsspiel im Spanien des 18. Jahrhunderts nur scheinbar harmlos. Das Grinsen der vier Edeldamen: genüsslich bis überheblich. Der Hampelmann: ein Spielball, der angststarr zum Betrachter blickt.
Der Homo ludens zeigt seine Fratze. In dem kleinen Fernseher grient Klaus Maria Brandauer als Gegenspieler von James Bond, und Valentin de Boulognes Falschspieler verbirgt sein wahres Gesicht. Aus dem Gemälde des französischen Barockmalers zitiert Stuth die verräterischen Hände – die wie bereits im Untergang begriffen im Dunkel verschwinden. Auf einem Stuhl am Roulettetisch des Kasinos liegt ein Sinnbild des Ruins. Ein grafisches Schaubild, gleichsam Störfaktor und Verstärker der Dekadenz. Nicht die im letzten Monat gefallenen Zahlen werden hier dokumentiert, sondern die Börsenkurse im Sinkflug des Krisenjahres 2008. Der Teufel steckt im Detail. Und die Glücksgöttin trägt Prada.
Michaela Nolte