Alles steht Schlange vor der großen Stille.
Felicitas Hoppe, „Hoppe“
Banksy was here! Eine Ratte des Street-Art-Phantoms grüßt im fröhlichen Demohabitus: »Welcome to hell!« Diane aus Danny Boyles Trainspotting lehnt im Silberkleidchen am Tresen. Ein Stück von ihr entfernt scheint Renton sich noch Mut anzutrinken. Eine coole Location im Takt der 1990er-Jahre, irgendwo zwischen Punk und Techno. Die flirrenden Farben und Lichtbewegungen suggerieren Spaß und Lebenslust. Man hört Iggy Pop regelrecht röhren: »I got a lust for life / I got a lust for life«. Hymne des Ausbruchs aus einer konservativen Gesellschaft, aus einem sinnentleerten Leben. Doch der Sound der Drumbeats verhallt in der ausgedehnten Leere. Der Schweiß der tanzenden Masse verdampft.
Wenngleich die Fotografie einen Club zeigt, öffnet Anett Stuth multiple Räume. Mediale Allegorien des Drogenkonsums delirieren da: Filmfiguren und Tunnel aus Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo oder Detlev Bucks Knallhart auf Bildschirmen sowie Szenen aus Trainspotting auf einer Bühne, die Stuth wie auf einem Podest collagiert. Unwirtlich, steril und verwildert zugleich. Die Menschen darin: wütend, verletzlich, gebrochen. Schattenwesen am Ende Eines langen Tages Reise in die Nacht, Eugene O’Neills Drama von 1956 um Drogen- und Alkoholsucht, angesiedelt in der bürgerlichen Familienhölle. In der deutschen Erstaufführung spielte Klausjürgen Wussow. Drei Plakate zeigen sein Konterfei, gezeichnet vom Alkohol. Darunter der Satz: »Ich kann auch saufen ohne Spaß zu haben.« Mit der abgerissenen Plakatwand erinnert Stuth an die Kunst des Nouveau Réalisme zu Beginn der 1960er-Jahre und holt einen weiteren Raum, den Straßenraum, in die Fotografie.
Einzig Francis Bacons Study of a Nude von 1952/53 vermittelt einen Moment von Ruhe und Klarheit. Ebenso gespannt wie entschlossen steht der weibliche Akt am Rande einer blauen Fläche. Doch der Sprung ins Freie oder ins kühle Nass wird konterkariert von Lineaturen, die eine gläserne Zelle um die Figur bilden. Eine Glasmenagerie, deren Blickachse in den gekachelten Raum führt. Zu Renton, der in der dreckigsten Toilette Schottlands nach Opiumzäpfchen taucht und in einem blauen Ozean landet.
Das Rauschen der Bilder und das Rauschen des Exzesses verschmelzen zu einer rauen Kartause. Dantes Purgatorium im Subkulturtempel der Gegenwart, in dem sich das freie Individuum nach eigenem Gusto zu Tode amüsiert.
Michaela Nolte